It‘s the Supply Chain, stupid!

Eine polemische „Analyse“ der Impf Supply Chain mit einer überraschenden Erkenntnis

Manchmal helfen spezielle Ereignisse zu erkennen, wie wichtig ein professionelles Supply Chain Management ist. Industrie und Handel haben dies in den Monaten der Corona-Pandemie immer wieder erleben müssen und sind damit einigermaßen zurechtgekommen.  Ein besonders drastisches Beispiel schlechten Supply Chain Managements liefern gegenwärtig die EU-Kommission und der deutsche Staat; wobei vieles dafür spricht, dass es in den meisten anderen europäischen Ländern nicht besser aussieht.

Die zumindest im ersten Quartal fehlenden Impfdosen haben der EU bei Ihren ca. 450 Millionen Kunden (= Bürgern) vermutlich größeren, evtl. irreparablen Imageschaden zugefügt als jemals irgendeine andere Entscheidung der EU (Schwachstellen 1-3: Lieferfähigkeit vermasselt; Einkauf hat zu sehr auf die Beschaffungspreise geachtet, anstatt sich an den Total Costs of Ownership zu orientieren; zu wenig SCM-Kompetenz auf der obersten Führungsebene und deshalb die strategische Bedeutung des Supply Chain Managements unterschätzt).

Trotz der geringen Impfstoffmengen scheinen die deutschen Verwaltungen damit überfordert, diese zügig zu verteilen und in die Arme der Kunden zu bekommen (Schwachstelle 4: Termintreue vermasselt)

Es scheint keine ausreichend koordinierte Disposition über die gesamte Impf Supply Chain des Bundes bis zu den Impfzentren und Ärzten zu geben (Schwachstellen 5 und 6: keine zentrale Disposition; bewährte Supply Chains, hier die für Arzneimittel, ignoriert). Die Anzahl der zu berücksichtigenden Verwaltungsregeln vom Datenschutz angefangen bis zu der Frage, ob ein impfender Arzt im Impfzentrum einem dortigen Apotheker eine Anweisung geben darf, mehr Impfdosen aus einem Gläschen zu zapfen, ist so groß, dass sie niemand überblicken kann (Schwachstellen 7-9: keine schlanken Prozesse; kein Lean Management; keine Anpassung der Verfahrensanweisungen an die sich verändernde Situation).  Es genügt, wenn bereits einer der vielen Abteilungsfürsten in der langen Prozesskette der Impf Supply Chain einen Fehler macht oder engstirnig auf einer unsinnigen Verfahrensanweisung besteht, um den Prozess zu stören (Schwachstellen 10 und 11: keine zentrale Führungskompetenz in einer kritischen Versorgungslage; „over the wall-Approach“ statt Fehlerbehebungskultur).

Jedes Impfzentrum, jedes Gesundheitsamt macht was es will und die Bereitschaft von den Leistungsfähigeren zu lernen, scheint wenig ausgeprägt zu sein (Schwachstellen 12 und 13: kein Benchmarking des Supply Chain Managements; kein KVP).

Bei der Kundenauftragserfassung geht es weiter: Server zur Impfterminvergabe sind überlastet; Impfzahlen werden verzögert oder nicht korrekt gemeldet; zu viele Belege und diese dazu noch auf Papier (Schwachstelle 14: drastischer Rückstand bei der Digitalisierung). Ein Jahr nach Beginn der Pandemie arbeiten viele Gesundheitsämter immer noch mit Fax (Schwachstelle 15: Zu weitreichende Konsenskultur statt dem Durchdrücken erforderlicher Maßnahmen angesichts einer disruptiven Situation).

Häme, Wut und Besserwisserei tut zuweilen der Seele gut. Sie sollten aber nicht den Blick dafür trüben, dass die aufgerissenen 15 Schwachstellen eins zu eins auch für viele Unternehmen gelten…

Bild von Tumisu auf Pixabay

Prof. Dr. Andreas Kemmner

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