Apple des Maschinenbaus

In Schwarz und Weiß und mit nur drei unterschiedlichen Speichereinheiten können Apple-Jünger ihr I-Phone ordern. Variantenprobleme kennen die Amerikaner nicht. Sind Jobs Ideen ein Vorbild in Sachen Produktion und Vertrieb? Kann der deutsche Maschinenbau von Apple lernen? MM MaschinenMarkt sprach mit Prof. Dr. Götz-Andreas Kemmner.

Unternehmer stöhnen über die Variantenvielfalt, doch das Problem angehen wollen sie nicht, warum?

Kemmner: Die Variantenvielfalt im Produktportfolio zu beschneiden, kostet Mut. Ein starker Vertrieb versucht jede Angel ins Wasser zu werfen, an der einmal im Jahr ein Fisch anbeißen könnte. Marketing und Entwicklung hoffen, mit jedem neuen Produkt endlich die Cash Cow entwickelt zu haben, die die Märkte erstürmt. Große Kunden setzen ihnen die Pistole auf die Brust und fordern auch die Lieferung von Exotenprodukten im Gegenzug für Aufträge bei ihren Umsatzrennern. Und letztlich verschleiern scheinbar positive Deckungsbeiträge die tatsächlichen Kosten der Variantenvielfalt.

Gegen dieses Umfeld müssen Sie als Unternehmer erst einmal anlaufen und dann noch das richtige Maß im Zurückschneiden des Produktportfolios finden.

Sonst kostet es viel Geld…?

Kemmner: Genau. In sehr vielen Fällen subventionieren die zuverlässigen AX-Artikel die unzuverlässigen CZ-Artikel. Dadurch werden die AX-Artikel teurer als nötig und bieten dem Wettbewerb eine unnötige Angriffsfläche. So, wie üblicherweise Deckungsbeiträge berechnet werden, weisen AX-Artikel zu geringe und CZ-Artikel zu hohe Deckungsbeiträge aus. Alles scheint seine Ordnung zu haben, bis auf die üblichen und unvermeidbaren Ausreißer. Betrachtet man jedoch die Prozesskosten, stellt man fest, dass die meisten Unternehmen mit ihren CZ-Artikeln kaum oder kein Geld verdienen, dafür aber ein großen Rad drehen müssen.

Vielen Unternehmern sind die Zahlen gar nicht bewusst: In einem typischen Produktportfolio wird mit 20 % bis 30 % der Artikel 60 % bis 80 % des Umsatzes erwirtschaftet. Am anderen Ende des Produktportfolios erreichen Sie mit 40% bis 50% der Artikel gerade einmal 1,5 bis 3 % des Umsatzes.

Wie kommen die Unternehmen aus dem Dilemma raus?

Kemmner: Kaufmännisch geht es erst einmal darum, realistischere Deckungsbeiträge zu errechnen oder abzuschätzen und dann zumindest kostendeckende Preise am Markt durchzusetzen. Sofern der Markt die höheren Preise nicht akzeptiert, muss man sich von diesen Produkten trennen.

Aus technischer und Marketingsicht besteht der einfachste Ausweg aus dem Dilemma natürlich darin, die Brot- und Butter AX-Produkte so gestalten, dass sie die Kunden so sehr begeistern, dass diese kein Verlangen nach unzähligen exotischen Varianten entwickeln. In Consumerbereich, in dem viel über Emotion verkauft wird, kann dies gut funktionieren.

Apple lässt grüßen – kann das auch für den Maschinenbau funktionieren?

Kemmner: Im Businessbereich liegt der Schlüssel eher in einer Baustein-Strategie, bei der man massiv standardisiert und Varianten so spät wie möglich im Verlauf des Fertigungsprozesses bildet. Postponed Manufacturing und Mass Customization sind hier die Schlagworte.

Heute ist dies eine gängige Strategie im Maschinenbau und es gibt nur noch wenige größere Unternehmen, die ihre Produkte noch nicht so strukturiert haben.

Es gab aber einmal Zeiten im deutschen Werkzeugmaschinenbau, da war man stolz auf seine ausgefeilten Speziallösungen und schaute verächtlich auf die Japaner mit ihren Standard-Maschinen. Diese waren aber so günstig, dass viele Kunden gerne zulangten, um damit ihre einfachen Fertigungsaufgaben zu bewältigen. Und ehe man sich versah, brach die Nachfrage nach Super-Speziallösungen ein. Die Werkzeugmaschinenindustrie hat in den 80er und 90er Jahren hart daran gearbeitet, ihre Produkte zu modularisieren und so mit viel Standardkomponenten wettbewerbsfähige kundenspezifische Lösungen anbieten zu können.

Aber auch ein solcher Lego-Baukasten wuchert ständig weiter: Baugruppen werden weiter ausdifferenziert und die Zahl der kundenspezifischen Teile nimmt zu.

Wie können Unternehmer Varianten vermeiden oder die Kosten dafür richtig kalkulieren?

Kemmner: Wie gesagt: Ein Lösungsansatz ist es, Varianten erst spät im Wertstrom zu bilden. Idealerweise werden Varianten auf der Fertigwarenebene überhaupt nicht mehr gelagert, sondern auftragsbezogen endmontiert. Das wirkt einer CZ-Explosion auf Fertigwarenebene entgegen und hilft, die Gesamtkosten des Produktportfolios zu senken.

Darüber hinaus müssen Unternehmer ihr Produktportfolio regelmäßig durchforsten und überprüfen, welche Produkte oder Varianten sich schlicht nicht rechnen und nicht erforderlich sind.

Mit dem Produktportfolio ist es im Prinzip wie mit einem Obstbaum. Diesen müssen Sie auch regelmäßig zurückschneiden und er treibt immer wieder neu aus. Und wie beim Obstbaum geht es darum, den Kopf ein- und das Bauchgefühl sowie das Herz auszuschalten:

Beim Produktportfoliomanagement geht es nicht um Ja-/Nein-Entscheidungen, sondern um die Festlegung eines Liefergrades, mit der ein Produkt angeboten wird. Von „immer sofort verfügbar“ bis „nicht im Sortiment geführt“ gibt es sieben Abstufungen des Liefergrades. Auf welchem Liefergrad ein Produkt angeboten werden sollte, darüber entscheiden sechs zentrale Kriterien: Der Deckungsbeitrag, der mögliche Sortimentszwang, der Lebenszyklusstatus, der Umsatzanteil, die erforderlichen Sicherheitsbestände und die vorhandenen Restbestände.

Zur Person: Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Götz Andreas Kemmner ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Abels & Kemmner GmbH, Herzogenrath/Aachen. Er studierte Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften an der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Produktionsmanagement und Betriebsorganisation. 1993 gründete er die Unternehmensberatung Abels & Kemmner. In zwei Maschinenbau- und Automobilzulieferunternehmen arbeitete Kemmner als Geschäftsführer. Seit dem 12. Juni 2012 ist er Ehrenprofessor an der Westsächsischen Hochschule Zwickau.

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Prof. Dr. Andreas Kemmner

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