Bestandsoptimierung bei der GAH Alberts

von Stefan Thomas1, José Manuel Garcia Hidalgo2 und Armin Klüttgen3

Mit geeigneten Kurzfristmaßnahmen, die die stärksten Bestandstreiberzielgerichtet attackieren, kann man sehr schnell große Bestandsreduzierungseffekte erzielen. Damit diese Quick-Wins aber nicht genauso schnell wieder verpuffen, müssen zusätzlich nachhaltige Maßnahmen ergriffen werden, um permanent optimal ausgerichtete Bestandsstrukturen zu bekommen. Die GAH Alberts hat es geschafft, mit Kurzfristmaßnahmen startend die Bestände drastisch zu senken. Danach führte eine parallel erarbeitete optimierte Planungs- und Dispositionssystematik zu nun permanent niedrigen Beständen.

Um die Performance von Pla­nung und Disposition noch­mals zu erhöhen, startete die GAH Alberts im Januar 2009 ein Projekt, das in einem ers­ten Schritt einen schnellen Bestandsabbau zum Ziel hat­te. Erst nach diesem ersten „Quick-Win”-Schritt wurde die systematische und nach­haltige Reduzierung der Be­stände umgesetzt. Der Vorteil dieser Strategie ist, dass man mit Quick-Wins schnell Liqui­dität schafft und erst danach die Nachhaltigkeit implemen­tieren muss.

Der Begriff Quick-Win mag dabei ein wenig danach klin­gen, dass man den „Bestands­mäher” startet, die Schnitt­höhe festlegt und dann blind über die Bestände fährt. Sol­che Aktionen sind jedoch nicht gemeint, denn sie führen nach ersten schnellen Erfolgs­erlebnissen sehr schnell zu einem späteren „Quick-Loss”.

Auch die vollständige Um­stellung der Planungs- und Nachbevorratungsstrategie von heute auf morgen ist keine ge­eignete Quick-Win-Strategie, da man ein solch großes Rad ohne die richtigen Konzepte und Erarbeitung der pas­senden Strategien nicht dre­hen kann oder sollte.

Warum Quick-Wins nicht reichen

Wirklich sinnvolle Maßnah­men zur Erzielung von Quick­Wins zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Wesentlichen im bestehenden planerischen und logistischen Umfeld statt­finden. Sie unterliegen keiner rollierend wiederkehrenden Optimierung und sind da­her eher statische Aktionen mit Einmal-Charakter. Trotz­dem werden die zu hebenden Potenziale systematisch und wohl strukturiert identifi­ziert, die durchzuführenden Schritte sorgfältig erarbeitet und die Auswirkungen der Handlungen regelmäßig über­prüft. Ziel dabei ist die schnel­le Erzielung wirtschaftlicher Erfolge.

Hat man Quick-Wins erzielt, ist entscheidend, dass man die ersten schnellen Erfolge auch durch nachhaltige Maß­nahmen stützt, um nicht nur heute, sondern jederzeit die optimale Bestandsstruktur zur Realisierung der gewünschten Lieferbereitschaft im Lager zu haben. Auch diese Umwand­lung vom Quick- zum Perma­nent-Win hat GAH Alberts nun vollzogen und die Ergeb­nisse liegen heute weit über den bei Projektstart anvisier­ten Zielen.

Die Quick-Win­Maßnahmen

Nach einer Grobaufnahme der Prozesse, ersten Simulationen und der Durchführung von Bestandstreiber-Workshops wurde ein Maßnahmenpa­ket definiert, das kurzfristig zur deutlichen Reduzierung der Bestände führen sollte. Zur Identifizierung der rich­tigen Maßnahmen wurden primär Indikationen aus den Bestandstreiber-Workshops und den ersten Simulationen genutzt.

Die Simulationen zeigten auf, welche die Top 100 der Arti­kel mit Bestandsreduzierungs­potenzial waren. Diese wur­den sodann im Detail nach Bestandsursachen hinterfragt, teilweise dispositiv umgestellt oder auch über geeignete Ver­wendung abgebaut. Darüber hinaus wurden folgende Maß­nahmen durchgeführt:

  • Einschleusung von Null­teilen (mindestens zwölf Mo­nate kein Verbrauch) in einen strukturierten Verwendungs-  bzw.Verwertungsprozess
  • Reduzierung von Meldebe­ständen mit einem MB-Um­schlag < x
  • Reduzierung von Sicher­heitsbeständen mit einem SB­Umschlag < x
  • Reduzierung von Los­größen mit einem LG-Um­schlag < x, dabei Orientierung an Verpackungseinheiten und wo möglich Einstellung auf exakte Losgröße
  • Stopp der Nachbevorra­tung bei Artikeln mit Be­standsreichweite > Wie­derbeschaffungszeit *x u.  Bestandswert > y €
  • Korrektur von Vorplan­werten, bei denen die Plan­qualität signifikant abweicht (mittlere Abweichung Plan­versus Ist-Menge)
  • Prüfung offener Bestel­lungen auf planerische Not­wendigkeit, ggf. Stornierung oder Verschiebung
  • Reduzierung von Bedarfs­vorlaufzeiten im System
  • Aufteilung von Monatsbe­darfen auf Wochenbedarfe

Die nach obigen Kriterien identifizierten Artikel bildeten Aktionslisten, die den Mitar­beitern der jeweils betroffenen Fachbereiche, z. B. Disposi­tion, Vertrieb oder Einkauf, zur Bearbeitung übergeben wurden. In intensiv geführten Workshops mit dem Bera­tungshaus Abels & Kemm­ner wurde eine Vielzahl von Artikeln direkt am ERP-Sys­tem diskutiert und der wei­tere Umgang mit den Artikeln festgelegt.

Ergebnis der Bemühungen zur Erzielung von Quick-Wins war, dass nach ca. vier Mo­naten die Bestände schon um mehr als 13 Prozent gesunken waren, während die Lieferbe­reitschaft nicht nachgegeben hatte.

Permanent-Wins im optimierten planerischen Umfeld

Während die Kurzfristmaß­nahmen noch weiter wirkten, hatte man parallel dazu be­gonnen, sich den Permanent­Win zu sichern. Ein Konzept zur Optimierung von Planung und Disposition inkl. der sys­temgestützten rollierenden Einstellung aller relevanten Dispo-Parameter wurde erar­beitet.

Das Konzept sah vor, dort wo es möglich ist, von der bisher verfolgten Push-Strategie in der Nachbevorratung auf eine ziehende Strategie umzustel­len. Bisher wurden zweimal pro Jahr Vorplanwerte in das System eingetragen, die dann dispositiv wirkten.

Zukünftig wird ein großer Teil des Artikelspektrums ver­brauchsgesteuert geplant und disponiert. Da nun aber mo­natlich rollierend neu geplant wird, muss natürlich auch monatlich darüber entschie­den werden, welche Artikel für die Verbrauchssteuerung geeignet sind, mit welchem Dispomerkmal sie versehen werden sollen, wie dann für diese die relevanten Para­meter, z. B. Sicherheits- und Meldebestand, zu dimen­sionieren oder auch der vor­zugebende Soll-Lieferbereit­schaftsgrad einzustellen sind.

Diese Entscheidungen werden dem Planer von einem Regel­werk abgenommen, welches durch die AK-Toolbox (einem Tool von Abels & Kemmner) automatisch abgearbeitet wird und nach Freigabe durch den Planer die erforderlichen Um­stellungen im SAP-System vornimmt. Das Regelwerk berücksichtigt dabei u. a. fol­gende Informationen:

  • ABC-Kennzeichen
  • XYZ-Kennzeichen
  • Lebenszykluskennzeichen (ELAN)
  • Materialart
  • Sonderkennzeichen Lager­haltigkeit
  • Länge der Verbrauchs­historie

Da es nicht nur zum Mo­natsende, wenn die rollie­rende Planung durchgeführt wird, sondern jederzeit Ereig­nisse geben kann, die den Be­darf an Vorfertigung und den Meldebestand beeinflussen können, sind die Mitarbeiter im Vertrieb angehalten, sol­che Informationen ereignis­gesteuert und damit zeitnah in das System einzutragen. Typische Ereignisse in diesem Bereich sind Aktionen oder neu hinzukommende oder auch wegfallende Kunden mit signifikant hohen Abnahme­mengen. Der Vertrieb soll in solchen Fällen im Sinne einer Ausnahmenplanung absolute und/oder prozentuale Kor­rekturen auf die vom System erstellten Prognosen vorneh­men. Die Korrekturen werden, da jeder Vertriebsmitarbeiter diese Aktivität für sich bezo­gen auf seine Handelspartner ausübt, danach auf Artikel­ebene aggregiert und sodann weiter verarbeitet.

Abbildung 2: AK-Toolbox und SAP – Der Closed Loop

Der Closed Loop zwischen AK-Toolbox und SAP, der jede Nacht durchlaufen wird, sorgt unmittelbar für die Be­rücksichtigung sämtlicher Sonderereignisse der Ver­triebsplanung, wodurch die statistischen Prognosen und relevante Vertriebsinforma­tionen zum dispositiv wirk­samen Absatzplan integriert werden (Bild 2).

Bei der rollierenden Berech­nung der einzustellenden Mel­debestände ergibt sich nun die besondere Aufgabenstellung, dass nicht nur das starke Sai­songeschäft, sondern dadurch bedingt aufgrund begrenzter Kapazitäten auch eine not­wendige Vorfertigung berück­sichtigt werden muss.

Ermittlung der Vorfertigungsbedarfe

Wenn man wie bei GAH Al­berts teilweise Monate vorher für die neue Saison vorfer­tigen muss, dann steht man einem ganz besonderen Pro­blem gegenüber: Der Zeit­punkt des Absatzes liegt noch in weiter Ferne, aber man muss trotzdem entscheiden, welche Produkte man voll­ständig ausspezifiziert produ­ziert und ins Lager legt.

Gemäß des Trompeteneffek­tes, der besagt, dass die Pro­gnose in ferner Zukunft von mehr Unschärfe betroffen ist als diejenige für die nahe Zu­kunft, ist damit natürlich auch das Risiko deutlich höher, die falschen Materialien oder diefalschen Mengen zu produ­zieren. Gelingt es nicht, die­se Problemstellung zu lösen, gefährdet man die optimale Bestandsstruktur und die ge­wünschte Lieferbereitschaft.

Bei GAH Alberts orientiert man sich bei der Entschei­dung, welche Artikel in wel­chen Mengen in der Produk­tion vorzuziehen sind, an der ABC-/XYZ-Klassifizierung der Artikel. Grundgedanke dabei ist, regelmäßig laufende Artikel als erstes vorzuziehen, da bei diesen das Risiko als Ladenhüter zu enden geringer ist. Dabei ist die Reihenfolge von A zu C und X zu Y, also zuerst AX-Teile, danach BX­Teile usw. Nur X- und Y-Teile sollen automatisch vorgezo­gen werden, nicht aber Z-oder Z2-Teile, die eine sehr spo­radische Verbrauchscharak­teristik aufweisen. Ist die Engpass-Situation damit noch nicht aufgelöst, so soll ein Hinweis erfolgen und der Pla­ner muss manuell eingreifen.

Zusätzlich wird ein „Vor­ziehfaktor” verwendet. Dieser sagt aus, wie viel von der zu produzierenden Menge vor­gezogen werden darf. Dieser Faktor ist artikelspezifisch und kann steuernd auch dazu eingesetzt werden, dass be­stimmte Artikel gar nicht vor­gefertigt werden.

Ein Artikel kann mehrere Eng­pässe hintereinander durch­laufen. Dies führt dazu, dass ein Engpass mit seiner Vorfer­tigung den anderen wiederum in seiner Auslastungssitua­tion beeinflusst. Diese Situa­tion muss also iterativ für alle Engpässe aufgelöst werden.

Die Einstellung der optimalen Parameter

Die korrigierte Produktions­situation wird anschließend zur Ermittlung korrigierter Meldebestände herangezogen, damit auch bei verbrauchs­gesteuerten Artikeln die ge­plante Vorfertigung operativ umgesetzt werden kann. Die Meldebestände werden dazu mit einem kalkulierten Zeit­vorlauf früher als vom ERP-System ermittelt angehoben.

Folge ist, dass man abwei­chend von der tatsächlichen Verbrauchssituation durch einen erhöhten Meldebestand frühzeitig die Nachbevorra­tung auslöst.

Neben anderen Parametern, wie z. B. dem einzustellenden Dispomerkmal, wird der Mel­debestand dem SAP überge­ben, wo dann die dispositive Berücksichtigung im Tagesge­schäft stattfindet. SAP kann so jederzeit auf der Basis optimal eingestellter Para­meter Planaufträge und Be­stellanforderungen generie­ren, die das richtige Material zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Menge abliefern (Bild 3).

Absatzplan GAH
Abbildung 3: Die Integration von Absatzplan und Produktion

Fazit nach neun Monaten

Die Gust. Alberts GmbH & Co. KG hat es geschafft, die Prozesse zu verschlanken, die Kosten zu reduzieren und gleichzeitig die vorgegebene Lieferbereitschaft herzustel­len. Man hat in Planung und Disposition neue Strategien und Prozesse etabliert, die er­gänzt um deutlich erweiterte Systemunterstützung die ge­wünschte Performance und Planungsqualität erzielen.

Über die Realisierung von Quick-Wins und die schnelle Überführung in Permanent­Wins verzeichnet man beein­druckende Ergebnisse. Nach einer Bestandsreduzierung von 13 Prozent in vier Mo­naten schlugen nach neun Monaten um 53 Prozent re­duzierte Bestände zu Buche. Um diese Leistung richtig ein­ordnen zu können, muss man sich noch einmal die Projekt­zielsetzung vor Augen führen, die da lautete: 30 Prozent, die Hälfte davon in den ersten zwölf Monaten.

Nachhaltige Bestandsreduzierung trotz Saisongeschäft

Beim Bestandsoptimierungsprojekt von GAH Alberts, bei dem die Bestände drastisch um 30 Prozent gesenkt werden sollten, galt es zwei Besonderheiten zu berücksichtigen: Zum einen stand die einzu¬haltende Lieferbereitschaft besonders im Fokus, da die Baumärkte als Kunden von GAH Alberts sehr hohe Anforderungen an die zu er¬reichende Lieferquote stellen. Zum anderen stellt GAH insbesondere Produkte her, die einem extrem starken Saisonverhalten unterlie¬gen, da u.a. viele Materialien für den Gartenbereich hergestellt und verkauft werden. Dabei reichen in der Hochsaison die verfügbaren Kapazitäten in der Produktion nicht aus, vollständig marktsynchron zu fertigen. Man muss also die Mengen, die man plant zu verkaufen, teilweise schon Wochen oder gar Monate vor dem geplanten Absatz fertigen. Die Folgen einer ungenauen Absatzplanung liegen dabei auf der Hand: Absätze können wegen fehlenden Materials nicht realisiert werden, und andere Materialien verbleiben als Ladenhüter im Lager.

GAH Alberts

Im Jahre 1852 begann die Geschichte der Gust. Alberts GmbH £t Co. KG als Riegelschmiede im Sau­erland. Heute ist das Unternehmen in der vierten Generation ein weltweit agierender erfolgreicher Systemanbieter für Handel, Handwerk und Industrie mit europaweit über 6 000 Handelspartnern.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 26 Nationen, eingebettet in vier Vertriebsgesellschaften, inter­nationalen Beteiligungen und global agierenden Kooperationen sowie dem Produktionsstandort Eu­ropa und einer weltweiten Beschaffung sichern die vom Markt geforderte Lieferbereitschaft und hohe Qualität.

GAH Alberts bietet eine große Vielfalt von Produkten für Haus und Garten als standardisiertes Produkt oder als Maßanfertigung in verschiedenen Kategorien an (vgl. www.gah.de).


1 Stefan Thomas – Bereichsleiter Logistik bei der GAH in Herscheid

2José Manuel Garcia Hidalgo – Leiter Dispositionszentrum bei der GAH in Herscheid

3Armin Klüttgen – Principal bei der Abels und Kemmner GmbH

Armin Klüttgen

Armin Klüttgen

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