Deutscher Perfektionismus bremst Digitalisierung

Eine Online-Befragung der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) bei 868 Unternehmen – primär aus dem Mittelstand – hat ergeben, dass die Digitalisierung von Geschäftsprozessen noch immer weit hinter den Möglichkeiten herhinkt. Gefragt wurde nach dem Digitalisierungsgrad von 41 Prozessen, für die heute bereits Technologien und Lösungen bekannt und vorhanden sind. Auf einer Skala von 1 (keine Digitalisierung) bis 4 (weitgehend durchgängige Digitalisierung) konnten die teilnehmenden Unternehmen ihre Prozesse bewerten.

Die Ergebnisse sind fast niederschmetternd. Selbst bei den Beschaffungsprozessen als Spitzenreiter liegt der durchschnittliche Digitalisierungsgrad bei 2,18 (in geringem Maße digitalisiert).

Die Untersuchung der THM bestätigt leider auch unsere Erfahrungen aus der Praxis bei vielen Firmen. Das Interesse an der Automatisierung von Geschäftsprozessen ist vorhanden. Aber selbst dort, wo man mit wenig Aufwand viel erreichen kann, passiert viel zu wenig.

Neben den üblichen Hemmnissen wie Investitionskosten, Angst vor Entscheidungen und – ja, auch im Mittelstand – fehlendem Unternehmertum, kommen nach meiner Erfahrung zwei wesentliche Faktoren hinzu:

  1. Die Entscheidungsträger fühlen sich in dem Digitalisierungsthema besonders unsicher; entsprechend zögerlich fallen Entscheidungen.
  2. Die Anwender – also die vermeintlich operativen Fachleute für die Beurteilung der Qualität eines automatisierten Planungs- und Steuerungsprozesses – denken immer von den Ausnahmen und nicht von der Regel her.

Hinzu kommt, dass wir die Automatisierung von technischen Prozessen mit der von Geschäftsprozessen vergleichen. Erstere müssen wir solange optimieren, bis alles fehlerfrei läuft: Eine CNC-Steuerung, die gelegentlich das Werkzeug ins Spannfutter fährt ist unbrauchbar – ohne Ausnahme.

In Geschäftsprozessen jedoch, in denen menschliche Entscheidungsprozesse von Algorithmen oder künstlicher Intelligenz übernommen werden, geht es nicht um die Digitalisierung eines mechanisierten Prozesses!
Hier geht es darum, die naturgemäß in Teilen fehlerhaften menschlichen Entscheidungen durch digitalisierte Entscheidungen zu ersetzen. Auch diese können und dürfen gelegentlich danebenliegen: Ausnahmen dürfen vorkommen, auch wenn wir permanent daran arbeiten werden, die Fehlerquote weiter zu verringern.

Wer hier die Perfektion der Mechanisierung fordert, wird vor der Digitalisierung steckenbleiben!

Prof. Dr. Andreas Kemmner

Prof. Dr. Andreas Kemmner

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