Wenn der Vertrieb bei der Planung kneift
Es erstaunt mich immer wieder, wenn ich von Kunden höre, dass der Vertrieb keinen Input liefert, weder für die Absatzplanung noch für den S&OP-Prozess. Bei stabil laufenden, etablierten Produkten mag das funktionieren. Dort leisten statistische oder KI-basierte Prognosen sehr gute Arbeit. Aber bei neuen Artikeln, Projekten oder geplanten Werbeaktionen ist der Input aus dem Markt entscheidend. Und den liefert der Vertrieb, sollte er zumindest.
Natürlich: Nicht jeder Vertriebler arbeitet gern mit Zahlen. Schon gar nicht auf Stückbasis oder auf Artikelebene. Und wehe, die Absatzplanung weicht vom Businessplan ab! Ganz zu schweigen von der Unsicherheit bei neuen Produkten. All das sind valide Argumente. Ich habe sie selbst oft mit dem Vertrieb diskutiert, mal mit Erfolg, mal ohne.
Aber was sagt es über eine Organisation aus, wenn der Vertrieb damit durchkommt, sich einfach aus der Planung rauszuhalten?
Planung ist nie exakt. Aber genau deshalb ist sie wichtig, besonders bei hoher Unsicherheit. Gerade dann müssen Vertrieb und Supply Chain gemeinsam versuchen, ein möglichst realistisches Bild der Nachfrage zu zeichnen. Unterstützt vom Controlling, falls nötig. Denn wenn Bedarfe aus geplanten Verkaufsaktionen nicht in der Produktion ankommen, kann Nachfrage nicht in Umsatz verwandelt werden. Und das hilft am Ende niemandem.
Das Problem ist: Ohne klare Führung wird sich daran nichts ändern. Vertrieb und Operations müssen sich einig sein, dass sie gemeinsam planen wollen. Und dann braucht es jemanden, der den Stein ins Rollen bringt – meist den Vertriebsleiter. Keine einfache Aufgabe, aber eine notwendige.
Wichtig ist, dem Vertrieb zu erklären, warum seine Zahlen gebraucht werden – und dass es okay ist, daneben zu liegen. Der Businessplan wurde womöglich Monate zuvor verabschiedet und beruht auf Annahmen, die durch Veränderungen im Markt längst veraltet sind. Absatzplanung dagegen ist dynamisch. Sie wird monatlich angepasst und ist operativ relevant.
Beides hat seine Berechtigung: Der Businessplan ist ein stabiles Steuerungsinstrument für das Gesamtunternehmen. Die Absatzplanung ist das operative Werkzeug für SCM und Produktion, um Warenflüsse zu steuern. Wer beides gleichbehandelt oder vermischt, provoziert Konflikte. Es gilt, die Unterschiede bewusst zu steuern.
Um den Vertrieb erfolgreich an Bord zu holen, bedarf es also eines Kulturwandels, der wiederum entsprechende Führung erfordert. Gleichzeitig gilt es, möglichst schlanke und effektive Prozesse zu schaffen oder anzupassen, idealerweise gestützt durch einfach zu nutzende Systeme, damit der gemeinsamen Zusammenarbeit keine unnötigen Hürden in den Weg gelegt werden.
Klar: Was sich hier so logisch liest, ist in der Praxis selten einfach. Aber wer es geschafft hat, und plötzlich bessere Lieferbereitschaft, weniger Stock-Outs und mehr Vertrauen zwischen Vertrieb und SCM erlebt, der weiß: Der Aufwand lohnt sich.