Die stille Krise der Disponenten
Acht Thesen, warum Automatisierung der einzige mögliche Ausweg ist
Die operative Planung steckt in einer strukturellen Schieflage: steigende Komplexität, sinkende Personalressourcen und ein Arbeitsalltag voller Routinetätigkeiten, die längst nicht mehr von Menschen erledigt werden müssten. Die folgende Kolumne entwickelt das Thema entlang von acht klaren Thesen, die gemeinsam zeigen, warum Automatisierung nicht nur „hilfreich“, sondern der einzige realistische Ausweg aus der stillen Krise der Disponenten ist.

These 1: Der wahre Engpass in vielen Lieferketten ist nicht die Maschine, sondern die Disponentenzeit.
Ob ein Unternehmen liefern kann, ob Bestände steigen oder sinken und ob Durchlaufzeiten stabil bleiben – all das hängt im Alltag an der operativen Planung. Genau dort entsteht ein Engpass, der kaum wahrgenommen wird: Die Disponenten haben schlicht nicht genügend Zeit und Aufmerksamkeit, um das System stabil zu halten. Diese knappe Ressource begrenzt zunehmend die Leistungsfähigkeit der gesamten Supply Chain.
Ohne ausreichende Disponentenzeit kollabiert die operative Steuerungsfähigkeit einer Supply Chain – lange bevor Maschinen oder Lieferanten an ihre Grenzen kommen.
These 2: Die wachsende Komplexität macht die operative Planung strukturell überfordernd.
Variantenvielfalt, schwankende Bedarfe und unsichere Wiederbeschaffungszeiten erhöhen den Steuerungsaufwand deutlich schneller, als Teams auf- oder Prozesse umgebaut werden können. Parallel wird der Arbeitsmarkt enger. Der resultierende Druck ist systembedingt – nicht individuell.
Die Komplexität wächst schneller als die menschliche Verarbeitungskapazität – und diese Schere wird ohne Automatisierung immer größer.
These 3: Disponenten bearbeiten zu viele Aufgaben, die für menschliche Aufmerksamkeit ungeeignet sind.
Tägliche Bestellvorschläge, Terminverschiebungen, Excel-Auswertungen, Nachjustierungen von Parametern: Alles Tätigkeiten, die repetitiv sind und kaum fachliches Urteilsvermögen erfordern – aber enorme Zeitressourcen binden.
Ein Großteil der heutigen Dispo-Aufgaben ist nicht „schwierig“, sondern schlicht unpassend für menschliche Bearbeitung in großem Umfang.
These 4: Ein großer Teil dieser Routinen könnte längst automatisiert ablaufen – ohne KI.
Regelbasierte Disposition, automatische Klassifizierung, systemgestützte Parameteroptimierung, algorithmische Ausnahmensteuerung – all das ist Stand der Technik. Die notwendige Automatisierung ist vielfach verfügbar und erprobt. Unternehmen könnten schon heute 30–60 % der Dispositionsarbeit systemisch abbilden.
Automatisierung ist heute möglich – und kein Zukunftsversprechen, sondern ein ungenutzter Gegenwartsstandard.
KI wird zusätzliche Verbesserungen bringen, ist aber keine Voraussetzung.
These 5: Der Grund, warum Automatisierung stockt, liegt nicht in der Technik, sondern in den Strukturen.
Automatisierung scheitert selten an fehlenden Tools, sondern an fehlenden Rahmenbedingungen: unklare Regelwerke, Angst vor Kontrollverlust, ungepflegte Stammdaten, Excel-Schattenprozesse, geringe Priorität der Dispo-Rolle im Management. Die operative Planung ist oft unterbewertet – und erhält deshalb nicht die systemische Unterstützung, die sie bräuchte.
Automatisierung scheitert selten an Software – sie scheitert am System, in dem die Software arbeiten soll.
These 6: Nur durch Automatisierung gewinnen Disponenten den Freiraum für die Aufgaben, die wirklich Wert schaffen.
Weniger Routinearbeit bedeutet mehr Zeit für das, was Menschen tatsächlich gut können: Ursachenanalyse, Priorisierung, Abstimmung kritischer Teile, Einkaufsvorbereitung, Mitarbeit im S&OP-Prozess, kontinuierliche Verbesserung von Regelwerken und Parametern.
Automatisierung ist keine Verdrängung menschlicher Arbeit – sie ist ihre Voraussetzung.
These 7: KI wird die operative Planung weiter verbessern – aber erst auf Basis automatisierter Grundlagenprozesse.
KI kann Anomalien erkennen, Wiederbeschaffungszeiten präziser einschätzen, atypische Bedarfe identifizieren und Ursachenanalysen unterstützen. Aber KI braucht stabile, gut strukturierte Daten und Prozesse. Die Basisarbeit bleibt: Parametrisierung, Klassifizierung, Regelwerksbildung.
Ohne Automatisierung keine KI – und ohne Struktur keine Automatisierung.
These 8: Automatisierung ist der einzige skalierbare Weg aus der Krise – menschliche Mehrleistung ist es nicht.
Unternehmen können die operative Planung nicht durch zusätzliche Köpfe retten – denn die Köpfe sind nicht verfügbar. Sie können auch nicht auf sinkende Komplexität hoffen – sie sinkt nicht. Die einzige Option, die skaliert, ist Automatisierung. Sie entlastet die Disponenten, stabilisiert die Lieferkette und macht Organisationen weniger abhängig von individuellen Heldenleistungen.
Die operative Planung überlebt nicht durch mehr Einsatz, sondern durch ein neues System – und dieses System heißt Automatisierung.
Fazit
Die operative Planung steht stillschweigend vor einer Zäsur. Was früher mit Erfahrung, Engagement und händischen Eingriffen kompensiert wurde, ist heute nicht mehr zu bewältigen. Die Lösung liegt nicht in mehr Aufwand, sondern in einem Perspektivwechsel:
Nicht die Disponenten müssen schneller werden – das System muss klüger entscheiden.

