“Bestände runter, Kassenmittel rauf”

Schlank werden ohne Jo-Jo-Effekt: Prof. Götz-Andreas Kemmner, Experte für Supply Chain Management, erklärt, wie sich Bestände im sechsstelligen Bereich nachhaltig senken lassen.

Mittelständler wollen bei der Finanzierung möglichst eigenständig bleiben. Wie lautet Ihr Rat? Wie können unsere Leser auch ohne externe Geldgeber an frisches Geld kommen?

Indem sie gezielt Bestände sparen! Das ist in vielen Unternehmen – großen wie kleinen – eine wesentliche Liquiditätsquelle. Die sollte nicht nur angezapft werden, wenn kurzfristig Kapital benötigt wird. Kapital sollte immer so effizient wie möglich eingesetzt werden – und unnötiges Geld in Bestände zu stecken, ist die ineffizienteste Form der Kapitalverwendung.

Geht das konkreter?

Viele Unternehmen haben zu hohe Bestände um die Hüften: 80 Prozent der Unternehmen leben mit mindestens 20 Prozent Bestand mehr, als wirtschaftlich erforderlich ist. Eine Bestandsreduzierung um diese 20 Prozent ermöglicht es einem typischen Unternehmen, seine Kassenmittel um die Hälfte zu erhöhen oder seine langfristigen Verbindlichkeiten um ein Drittel zu senken. Darüber hinaus verursachen Lagerbestände laufende jährliche Kosten von 20 bis 30 Prozent der Bestandshöhe!

Aber warum schleppen Firmen oft zu viel mit sich herum?

Das ist ganz ähnlich wie im Privaten mit dem Speck auf den Rippen: Wir wissen, dass wir etwas für uns tun müssten. Doch angesichts der verschiedensten Anforderungen – Beruf, Familie – bleibt uns kaum Zeit für Fitnessaktivitäten. Auch Unternehmen sehen sich mit verschiedenen Anforderungen konfrontiert: Artikelspektren wechseln immer schneller, die Variantenzahl steigt, Kunden verlangen nach immer kürzeren Lieferzeiten. Gleichzeitig werden unsere Liefernetzwerke immer verzweigter und komplexer und damit schwieriger zu durchschauen. Das alles führt oft zu unnötig hohen Beständen. Viele Unternehmen wissen auch gar nicht, dass ihre Supply Chain völlig außer Form ist, bis schließlich aufgrund der immer weiter steigenden Kosten der Finanzinfarkt droht. Andere wiederum schauen fatalistisch auf ihre Bestandsberge und glauben nicht, dass die sich senken lassen.

Wie kann man das Optimum erreichen?

Hier hilft erneut der Blick ins Privatleben: Wenn ich nur kurzfristig auf die Ernährung achte oder viel Sport treibe, geht das Gewicht runter. Aber kehrt der gewohnte Trott zurück, kommt der Jo-Jo-Effekt. Dauerhaft kann ich die Wunschfigur nicht mit kurzfristigen Diäten erreichen, sondern nur durch konsequente Umstellung des Lebensstils. Wir sprechen gern von der logistischen Positionierung. An der fehlenden logistischen Positionierung liegt es oft, dass Bestandssenkungsprojekte bereits gescheitert sind, ehe sie begonnen wurden. Wie beim Abnehmen beginnt also auch hier der Prozess im Kopf! Hat man sich zu einer klaren logistischen Positionierung durchgerungen, ist nachhaltige Bestandsoptimierung eine Aufgabe, an der alle Unternehmensbereiche beteiligt sein müssen – idealerweise, zumindest im zweiten Schritt, auch die Lieferanten und die Kunden. Bestände sind die Symptome am Ende einer langen Ursachen-Wirkungskette, die durch das gesamte Unternehmen reicht und detailliert aufgeschlüsselt werden muss, um das wirtschaftliche Optimum zu erreichen. Die typischen Bestandsproblemzonen in Unternehmen betreffen unzureichende Bedarfsprognosen und Dispositionsprozesse, falsche Wertströme und ungünstige Produktstrukturen.

Also müssen alle mit anpacken?

Genau: auch die Geschäftsführung, die Bestandssenkung gerne nach unten weg delegiert! Nur sie hat den Überblick über das gesamte Unternehmen und kann die für das Gesamtoptimum notwendigen Entscheidungen treffen. Und sie kann entscheiden, ob im Unternehmen genügend Detailwissen zum Thema Supply Chain Optimierung vorhanden ist – und falls nicht, entsprechend reagieren.

Die Fragen stellte Ingo Schenk

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Prof. Dr. Andreas Kemmner

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