Best Practice-Regeln für das Produkt-Portfoliomanagement, Teil 3

Teil 3: Für kurzlebige Güter gelten andere Regeln als für langlebige!

In den ersten beiden Teilen haben wir Ihnen die Grundprinzipien und Best-Practice-Regeln eins bis acht erläutert und Sie wissen jetzt, warum eine regelmäßige Bereinigung des Produktportfolios so wichtig ist und wie Sie sie ohne Ärger mit den Kunden durchführen können. Natürlich muss aber für etwas Altes etwas Neues „nachwachsen“. Und das hat auch seine logistischen Tücken, wie Sie im Folgenden sehen werden:
Ohne Neuheiten und Weiterentwicklungen der bestehenden Produkte überlebt das Unternehmen meist nicht lange oder verliert zumindest Marktanteile. Gerade auch der internationale Wettbewerb macht es nötig, „den Anderen“ einen Schritt voraus zu sein. Die Welt der langlebigen und der kurzlebigen Güter unterscheidet sich hier jedoch drastisch. Für Unternehmen, die mit kurzlebigen Gütern ihr Geld verdienen, gilt Grundprinzip 9:
Bei kurzlebigen Gütern hat man es fast nur mit Neuheiten zu tun und kämpft meist mit Über- oder Unterverfügbarkeit.

Das Paradebeispiel in diesem Bereich stellt die Modeindustrie dar, die zu großen Teilen nur mit Artikeln, die nur für eine einzige Saison produziert werden, arbeitet und die diese sogenannten „Oneshots“ auch nur über einen begrenzten Zeitraum am Markt absetzen kann.

Idealerweise, bzw. theoretisch, sollten möglichst früh möglichst gute Bedarfs-forecasts aufgestellt werden. Die statistischen und methodischen Hilfsmittel, die in diesem Bereich heute zur Verfügung stehen, lassen jedoch meistens zu wünschen übrig. Wir analysieren in diesem Bereich gegenwärtig verschiedene Ansätze zur Verbesserung der Prognosequalität, hier handelt es sich aber noch eher um Grundlagenforschung als um konkrete Lösungsansätze. Letztlich kommt es bei der Prognose von Neuprodukten, speziell auf Märkten mit kurzen Verbrauchszeiträumen, noch immer auf das „Bauchgefühl“ des Produktmanagements an, um die Bedarfsmengen für ein neues Produkt abzuschätzen.

Was wir immer wieder feststellen konnten, ist, dass beworbene Produkte später einen deutlich höheren Umsatz generieren, als diejenigen, die nicht explizit beworben wurden. Dies ist nicht verwunderlich; allenfalls das Gegenteil hätte uns verwundert. Zum Staunen bringt es einen dann aber doch, dass in vielen Unternehmen die Entscheidung darüber, welche neuen Produkte beworben werden sollen, erst dann getroffen wird, nachdem die Beschaffungsprozesse und mitunter sogar die Produktionsprozesse bereits begonnen haben. Zu diesem Zeitpunkt ist es natürlich zu spät, die Mengen anzupassen und das beworbene Produkt in höheren Stückzahlen zu produzieren.

Wenn Ihnen Prognosemethoden nicht helfen, die Bedarfsmengen bestimmter Artikel im Produktportfolio genauer zu definieren, müssen Sie Ihre Supply Chain und Wertschöpfungskette möglichst flexibel gestalten und Ihr logistisches Geschäftsmodell entsprechend ausrichten. Was und wie dies getan werden kann, gehört zur Diskussion von Best Practice Kriterien des logistischen Geschäftsmodells und soll uns hier nicht beschäftigen. Wichtig für das Produktportfoliomanagement ist jedoch, dass das Obsoleszenzrisiko, also das Risiko, auf Produktbeständen sitzenzubleiben und diese verschrotten oder verramschen zu müssen, als Restrisiko in die Gewinnmarge des Produktes eingerechnet wird. Somit lautet
Best-Practice-Baustein 9: Gestalten Sie bei der Herstellung und Vermarktung kurzlebiger Güter die Supply Chain möglichst flexibel und kalkulieren Sie das Restrisiko in die Gewinnmarge ein.

Unter dem Aspekt der Produktportfolio-Pflege müssen wir aus logistischer Sicht auch einen Blick auf die langlebigen Güter werfen, denn hier gilt Grundprinzip 10:
Bei langlebigen Gütern verursachen Neuheiten häufig großen Planungsaufwand, hohe Bestandskosten und ein hohes Kostenrisiko in der gesamten Supply Chain, das bei Fehlplanungen von den lebenden Produkten mitgetragen werden muss.

Neue Produkte verursachen zuerst einmal in ganz anderen Bereichen als der Logistik Kopfschmerzen. Mit diesen Kopfschmerzen wollen wir uns hier aber nicht beschäftigen, wohl aber einen Blick auf die logistischen Probleme werfen.

Auch bei langlebigen Gütern besteht die Gefahr, dass man den Bedarf an Neuprodukten über- oder unterschätzt. Im Unterschied zu den kurzlebigen Gütern besteht jedoch die Möglichkeit, im Zeitverlauf Bestände und Lieferbereitschaft besser auszutarieren. Vor allem besteht eine Chance, eventuelle Überbestände über einen längeren Zeitraum hinweg abverkaufen zu können. So fallen zwar Lagerhaltungskosten, aber keine Verschrottungskosten an. Dies gilt natürlich nur, solange ein sich schlecht verkaufendes Produkt am Markt weiter angeboten und nicht zu früh aus dem Produktportfolio herausgenommen wird (siehe Best-Practice-Baustein 7). Allerdings zeigen unsere Erfahrungen aus zahlreichen Projekten, dass bei Herstellern technischer Produkte mehr als 30 % neue Fertigprodukte pro Jahr logistisch nicht mehr wirtschaftlich zu handhaben sind und vermeintliche Marketingvorteile durch eine hohe Neuproduktrate wieder auffressen.

Genaugenommen geht es bei dieser Schwelle nicht um den Anteil der Neuprodukte an der Gesamtzahl der Artikel im Produktportfolio, sondern um den Prozentsatz der für die Neuprodukte in der gesamten Supply Chain zu haltenden Bestände im Verhältnis zu den Gesamtbeständen in der Supply Chain. Aus diesem Grunde solle parallel zum Einführen neuer Produkte stets geprüft werden, welche “alten” CZ und CZ2-Produkte aus dem Sortiment genommen werden können. Logistisch betrachtet ist dies aber eine andere Front. Das Aussondern schlecht laufender Artikel ist eine wichtige Aufgabe an sich. Es legitimiert aber nicht eine überzogene Einführung neuer Produkte. Aus diesem Grunde müssen wir für langlebige Güter Best-Practice-Baustein 10 berücksichtigen:
Bei technischen Produkten markieren 30 % Neuheiten pro Jahr, die per “big bang” eingeführt werden, die Grenze zum logistischen Selbstmord. Erfolgreiche Unternehmen bleiben darunter.

Was aber, wenn die Markteinführung sich nur über die „big bang“-Strategie machen lässt? Eine Antwort darauf finden Sie im nächsten Teil unseres Best-Practice-Artikels. Bleiben Sie also dran!

Prof. Dr. Andreas Kemmner

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