Zielmarke überschritten

Der sauerländische Baumarktlieferant GAH Alberts hat mit externer Hilfe seinen Lagerbestand halbiert und damit sein Projektziel übertroffen. Jetzt stößt die Lösung an ihre Leistungsgrenze.

Für das Bauen, Renovieren und Verschönern in Haus und Garten hat die Herscheider Gust. Alberts GmbH & Co. KG (GAH Alberts) über 10.000 Artikel im Sortiment, die Hälfte davon aus eigener Produktion. Der Großteil der Kun­den sind Baumärkte in Europa. Daneben beliefert der Systemanbieter europaweit den Groß- und Fachhandel, Handwerker sowie Industriekunden.

Um die gewünschten Lieferquoten der Kunden zu erfüllen, steht die Lieferbereit­schaft im Lager Herscheid besonders im Fokus. Für die Lagerung von Blechen, Pro­filen, Beschlägen, Haken, Zäunen und vie­len anderen Produkten stehen auf 24.500 m2 Fläche 22.000 Palettenstellplätze, etwa 2.700 Lagerwannen und 6.500 KLT-Plätze zur Verfügung.

Viele Artikel, allen voran die Produkte für den Gartenbereich, sind starken sai­sonalen Nachfrageschwankungen unter­worfen. So stellen die 68 Logistikmitarbei­ter von GAH Alberts von Januar bis Mai bis zu 1.400 Aufträge am Tag zusammen. Im Jahresdurchschnitt sind es nur 1.000 Aufträge pro Tag, an schwachen Tagen ledig­lich 530. Durchschnittlich zählt Logistik­leiter Stefan Thomas pro Tag rund 70.000 Picks (34.000 bis 91.000) und etwa 12.500 Positionen (7.200 bis 17.000).

Hohe Sicherheitsbestände

Wegen begrenzter Fertigungskapazitäten produziert GAH Alberts bestimmte Waren schon Wochen oder Monate vor der Hoch­saison. Dabei ist eine möglichst genaue Absatzplanung entscheidend, sonst ver­lieren einzelne Artikel schnell die gewünschte Lieferbereitschaft. Andere Ma­terialien verbleiben im Extremfall als La­denhüter im Lager.

In der Vergangenheit führte die Angst vor Fehlplanungen und Lieferengpässen dazu, dass sich am Standort Herscheid hohe Sicherheitsbestände auftürmten. „Immer dann, wenn die Überbestände zu hoch waren, haben wir Optimierungspro­jekte gestartet”, erinnert sich Logistikchef Thomas. Viele Projekte seien jedoch ge­scheitert, weil die Planungs- und Disposi­tionssystematik im 2003 eingeführten SAP-System nicht nachhaltig angepasst werden konnte.

Deshalb holte sich GAH Alberts im Ja­nuar 2009 die Abels & Kemmner Gesell­schaft für Unternehmensberatung mbH aus Herzogenrath bei Aachen ins Boot. Die Zielvorgabe lautete, die Bestände um etwa 30 Prozent zu senken, zur Hälfte noch im Jahr 2009. Nach einer Grobaufnahme der Prozesse führten die Berater erste Simu­lationen durch, die die Top100-Artikel mit einem deutlichen Potenzial zur Bestands­reduzierung identifizierten. Diese wurden bis Mitte 2009 in wöchentlichen, sogenannten „Bestandstreiber-Workshops” sukzessive nach Bestandsursachen hinterfragt. Hier saßen durchschnittlich 20 Mitarbeiter aus Disposition, Vertrieb oder Einkauf am Tisch.

Direkt am ERP-System diskutierten die Workshop-Teilnehmer das Vorgehen für jeden einzelnen Artikel. Die Meetings dienten auch dazu, alte Gewohnheiten aufzubrechen und ein gemeinsames Verständnis der Abläufe zu entwickeln. Eine weitere Herausforderung war es, die Stammdaten sauber abzubilden. Konkret wurden Losgrößen, Fertigungszeiten und Wiederbeschaffungszeiten für die nächsten drei bis sechs Monate ermittelt. „Wir mussten in Fertigungsstufen denken und auch unsere Lieferanten einbinden. Das war komplexer als gedacht”, berichtet Thomas.

Der Aufwand hat sich gelohnt: Bereits nach vier Monaten waren die Bestände um mehr als 13 Prozent gesunken, während die Lieferbereitschaft konstant bei 97 bis 98 Prozent blieb. „Allerdings hatten wir versehentlich einen Parameter falsch eingestellt, sodass wir in der Hochsaison bei einigen Artikeln kurzfristig Lieferprobleme hatten. Diesen Fehler haben wir aber schnell behoben”, räumt der Logistikleiter ein.

Nichtsdestotrotz erreichte GAH Alberts sein Ziel für 2009 in einem Drittel der Zeit. Nach neun Monaten schlugen die Maßnahmen sogar mit einer Bestandsreduktion um 35 Prozent durch. Das Gesamtziel wurde damit übertroffen. „Unsere Einmalinvestition hat sich nach sechs Monaten amortisiert”, resümiert Thomas.

Noch während diese Kurzfristmaßnahmen wirkten, hatte man begonnen, das Konzept zur langfristigen Optimierung von Planung und Disposition aufzusetzen. Mithilfe einer systemgestützten Einstellung bestimmter Dispo-Parameter stellte GAH Alberts die Nachbevorratung von der bisher verfolgten Push-Strategie auf eine ziehende Strategie um. Hatten die Mitarbeiter bis dato zweimal pro Jahr Vorplanwerte in das SAP-System eingetragen, so wird künftig ein Großteil des Artikelspektrums verbrauchsgesteuert geplant und disponiert.

Toolbox entscheidet

Anhand verschiedener Artikelparameter, darunter die Verbrauchshistorie der letzten 60 Monate, übernimmt das die „AKToolbox”, ein Tool von Abels & Kemmner. Monatlich entscheidet das System automatisch neu, welche Artikel für die Verbrauchssteuerung geeignet sind. Auch den Sicherheits- und Meldebestand sowie den Soll-Lieferbereitschaftsgrad eines Artikels stellt es alle vier Wochen neu ein. Nach Freigabe durch den Planer nimmt die Toolbox über eine Schnittstelle die erforderlichen Umstellungen der Parameter im SAP-System vor.

Menupunkte_der_AK-Toolbox
Menupunkte_der_AK-Toolbox

Ereignisse, wie etwa Verkaufsaktionen oder neu hinzukommende oder auch wegfallende Kunden, tragen die Mitarbeiter im Vertrieb zeitnah in das System ein. Bei der „Ausnahmenplanung” nimmt jeder Vertriebsmitarbeiter für jeden Handelspartner absolute oder prozentuale Korrekturen auf die vom System erstellten statistischen Prognosen vor. Diese werden danach auf Artikelebene aggregiert. Ein nächtlicher Abgleich zwischen AK-Toolbox und SAP sorgt für die Berücksichtigung sämtlicher Sonderereignisse in der Vertriebsplanung.

So sind die Verantwortlichkeiten zwischen Disposition und Vertrieb klar geregelt. Mit der Umstellung der Strategie von Push- auf Pull-Mechanismen und der Einführung einer rollierenden Planung, die Prognose- und Vertriebsinformationen zu Produktionsplänen verarbeitet, kann GAH Alberts die Planung laufend automatisiert anpassen.

„Allerdings sind wir mit 35 Mio. Datensätzen in der Toolbox inzwischen bereits an der Performance-Grenze. Aus heutiger Sicht ist die Toolbox nicht das am besten geeignete Instrument”, schränkt Thomas ein. Deshalb liebäugelt er zurzeit mit der Nachfolgelösung „DISKOVER” von der SCT GmbH, bei der jedoch Lizenzgebühren anfallen würden. Deshalb will der Manager zunächst die Funktionen des neuen SAP-Release 6.0 prüfen. Eine Entscheidung soll noch im Sommer 2010 fallen. p/akw

“Unsere Einmalinvestition hat sich bereits nach sechs Monaten amortisiert.”
Stefan Thomas, Berichsleiter Logistik, Gust. Alberts GmbH & Co. KG, Herscheid

GAH Alberts

1852 als Riegelschmiede gegründet, ist der Baumarktlieferant Gust. Alberts & Co. KG (GAH Alberts) mit Sitz in Herscheid heute mit rund 400 Mitarbeitern an weltweit fünf Standorten präsent. Im Geschäftsjahr 2009 erwirtschaftete der Systemanbieter für Handel, Handwerk und Industrie einen Umsatz von etwa 100 Mio. Euro.

Dr. Bernd Reineke

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